Demokratie siegt im Senegal. Was heißt das für Deutschland und Europa? Roger Peltzer analysiert das Wahlergebnis und formuliert Empfehlungen für die deutsche Außen- und Entwicklungspolitik.
Am 24.3.2024 wurde im Senegal ein neuer Präsident gewählt. Bassirou Diomaye Faye siegte
als Überraschungssieger im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit. Bassirou Diomaye Faye kandidierte als Stellvertreter für Ousmane Sonko, einem insbesondere bei der Jugend
extrem populären Oppositionspolitiker, dem aber aufgrund diverser strafrechtlicher
Ermittlungen eine Kandidatur als Präsident verwehrt war. Bassirou Diomaye Faye, der mit
Ousmane Sonko seit Jahren zusammenarbeitet und eng befreundet ist, ernannte seinen
Freund dann unmittelbar nach der Präsidentschaftswahl zum Premierminister, so dass beide
das Schicksal des Senegal in den nächsten 5 Jahren bestimmen werden.
Vorausgegangen war ein mehrmonatiges Tauziehen um den Termin der Präsidentschaftswahl. Diese hätte regulär am 23.2.2024 stattfinden müssen. Der zuvor amtierende Präsident Macky Sall hat dann aber in Übereinstimmung mit der Mehrheit des senegalesischen Parlament versucht, die Wahl auf das Ende des Jahres 2024 zu verschieben. Hintergrund dieser Entscheidung war wohl auch, dass sich abzeichnete, dass der von Macky Sall bevorzugte Kandidat für seine Nachfolge absehbar in der senegalesischen Öffentlichkeit nicht genügend Unterstützung fand. Diese geplante Verschiebung führte im Senegal zu
großen Protestaktionen und auch im Ausland zu kritischen Fragen.
Am 15.2. entschied dann allerdings der senegalesische Verfassungsrat (das Pendant zum
Bundesverfassungsgericht), dass die Präsidentschaftswahlen umgehend stattzufinden
hätten, was dann am 24.3.24 auch geschah. Damit und mit der demokratischen Wahl, deren
Ergebnis auch von den Unterlegenen unmittelbar akzeptiert wurde, setzte man allen
Spekulationen ein Ende, die besagten, dass Senegal einen ähnlichen Weg gehen könne wie die
Nachbarländer Burkina Faso, Mali und Niger, wo sich Militärs an die Macht geputscht haben.
Wie auch in einer Reihe anderer afrikanischer Länder (Elfenbeinküste, Ghana, Kenia) kann
sich die Demokratie im Senegal auf über die Jahre gewachsene Institutionen stützen, die in
der Lage sind, Krisen zu bewältigen und die in der Bevölkerung ein hohes Ansehen
genießen. Und eine rege, wache Zivilgesellschaft tut das Ihrige.
Wie mit der neuen Regierung im Senegal umgehen?
Was ist nun von der neuen politischen Führung im Senegal zu halten? Persönlich muss ich
sagen, dass ich von dem Agieren von Ousmane Sonko in der Vergangenheit nicht sehr
überzeugt war. Sein Diskurs ähnelte weitgehend dem, was wir hier in Deutschland von der
AFD oder auch dem Bündnis Sarah Wagenknecht hören: Ein pauschale Kritik der Regierung
mit der Tendenz „die da oben“ als Verbrecher zu titulieren, die das Volk betrügen und die
faktisch als Diktatoren agieren würden. Das stimmt so ja weder für Deutschland noch für den Senegal, wo gerade eine demokratische Wahl stattfand. Zudem hat Ousmane Sonko, das teilweise gewaltsame Ausufern von ihm ausgerufener Proteste zumindest toleriert.
Aber im Ergebnis muss man sagen, dass die übergroße Mehrheit der jüngeren Leute im
Senegal – und davon gibt es verdammt viele, auch weil die Geburtenraten zu den höchsten
der Welt gehören – einen Wechsel will. Sie haben heute alle eine Schulbildung, viele einen
Uni-Abschluss und sie bewegen sich genauso wie ihre westlichen Altersgenossen im Internet
und in den sozialen Medien. Im Unterschied zu diesen haben aber die Allermeisten jungen
Senegalesen keinerlei berufliche Perspektive, sondern müssen sich als Kleinhändler oder
Taxi-Motorradfahrer durchs Leben schlagen. Und diese jungen Leute haben nachvollziehbar
eine große Wut auf die alten politischen Eliten und auch auf den Westen und die alte
Kolonialmacht Frankreich, die (vermeintlich) Schuld an ihrer Situation tragen.
Nun sind Bassirou Faye und Ousmane Sonko keine Militärs (ein großer Unterschied zu den
Staatschefs in den Nachbarländern). Sie sind durch demokratische Wahlen an die Macht
gekommen und beide sind gut ausgebildete und qualifizierte Steuerberater. Sie haben also
die Chance, jetzt zu beweisen, dass sie einen Unterschied machen und der Jugend wieder
Hoffnung geben können.
Partnerschaft auf Augenhöhe nicht nur proklamieren, sondern praktizieren
Dabei werden sie Einiges nicht so heiß essen, wie sie es im Wahlkampf „gekocht“ haben. So
haben sie schon unmittelbar nach der Wahl gesagt, dass sie den Austritt aus der
gemeinsamen Währungszone mit Europa – die westafrikanische Währung FCFA ist fest an
den Euro gekoppelt und frei konvertierbar- doch nicht so ernsthaft betreiben würden wie
vor der Wahl angekündigt. Und das ist auch sinnvoll, ist die FCFA-Zone doch – im Gegensatz
zu vielen auch in Deutschland verbreiteten Vorurteilen – für die beteiligten Länder durchaus
von Vorteil. Er ermöglicht in Westafrika einen Grad an Wirtschaftsintegration, wie es ihn
ansonsten in Afrika nicht gibt. Und die Stabilitätskriterien der Zone führen u.a. auch dazu,
dass die FCFA-Länder weitgehend vom Phänomen der Überschuldung verschont bleiben.
Aber ansonsten wird sich der Westen durchaus in Verhandlungen auf eine härtere Gangart
einstellen müssen. Die Küsten Senegals dienen ja vielen Flüchtlingen aus ganz Westafrika
über die Kanaren als Sprungbrett nach Europa. Die EU und Spanien haben in der
Vergangenheit – z.T. mit Erfolg – versucht, den Senegal über Anreize dazu zu bewegen, diese Fluchtrouten abzuschotten. Auf solche Abkommen wird sich der Senegal unter neuer
Führung, wenn überhaupt, nur noch einlassen, wenn die EU wesentlich mehr bietet: Mit
einigen hundert Stipendien für senegalesische Studenten werden sie sich nicht mehr
abspeisen lassen. Da wird die EU schon legale Migrationsmöglichkeiten für tausende, wenn
nicht zehntausende von jungen Senegalesen bieten müssen. Das könnte im Übrigen für
Europa durchaus Sinn machen, ist die Grundausbildung der allermeisten jungen
Senegalesen doch durchaus gut. Und bei uns und in ganz Europa werden dringend
Arbeitskräfte gesucht. Da die jungen Senegalesen im Übrigen im Regelfall nach Europa und
eben nicht nach China wollen, hat die EU hier auch ein richtiges Verhandlungsasset.
Und Deutschland und die EU werden endlich eine „Partnerschaft auf Augenhöhe“ nicht nur
proklamieren, sondern auch im Konkreten praktizieren müssen. Bisher ist es doch so, dass über die Entwicklungszusammenarbeit zwar ein formal „gleichberechtigter“ Politikdialog geführt wird, tatsächlich müssen aber die Partnerländer die vom BMZ gesetzten Schwerpunkte akzeptieren. Ausnahmen sind nicht möglich. Und wenn ein konkreter klimapolitischer Projektvorschlag nicht die ausgefeilten Gendervorgaben der deutschen EZ berücksichtigt, fällt er unten durch, ebenso wie ein Investor, der in einer verwandtschaftlichen Beziehung zu einem Regierungsmitglied im Partnerland steht,
praktisch keine Chance hat, eine Finanzierung einer EU-Entwicklungsbank zu bekommen.
Diese und andere Vorgaben führen auch dazu, dass sich unsere Partner in Afrika verstärkt
anderen Alternativen – die ja reichlich vorhanden sind – zuwenden. So viel Berechtigung alle
unsere Vorgaben und Regularien jeweils für sich haben mögen, die deutsche Politik und
Entwicklungsadministration muss viel stärker lernen, diese Vorgaben mit Augenmaß und
Flexibilität im Einzelfall zu handhaben. Nur so werden wir auch für die neue senegalesische
Regierung glaubwürdige und wichtige Partner bleiben können.
Titelbild: Fischer in einer Piroge an der Insel Gorée, Senegal; Foto von The Wandering Angel