Zehntausende von Jugendlichen haben in ganz Kenia mit Erfolg gegen Steuererhöhungen auf Verbrauchsgüter und Internetdienstleistungen demonstriert. Roger Peltzer analysiert, wie diese Bewegung im Kontext der aktuellen Auseinandersetzungen um die Demokratie quer durch Afrika einzuschätzen ist.
Ende Juni gehen zehn-, wenn nicht hunderttausende von Jugendlichen in Nairobi und anderen großen Städten Kenias auf die Straße, um gegen geplante Steuererhöhungen auf Produkte des alltäglichen Bedarfs und Internetdienstleistungen zu protestieren. Die Bewegung kommt praktisch aus dem Nichts, knüpft an keinerlei vorhandene politische Strukturen oder Organisationen an. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen organisieren sich ausschließlich über Social Media, erfahren aber in der etablierten freien Presse viel Sympathie.
Nachdem die Regierung unter Präsident Ruto zunächst vergeblich versucht, mit Härte und Verlangsamung der Internetverbindungen der Bewegung Einhalt zu gebieten, lenkt sie schnell ein, nachdem die Bewegung sich schnell weiter verbreitet und viel öffentliche Unterstützung erfährt, und nimmt die Steuererhöhungen zurück.
Inwieweit ist der Aufstand der Jugend in Kenia vergleichbar mit ähnlichen Bewegungen im Senegal oder auch der Unterstützung der Militärputschisten im Sahel durch viele Jugendliche und junge Akademiker?
Das verbindende Element ist sicherlich, dass in allen genannten Ländern Millionen von gut ausgebildeten jungen Menschen und Akademikern auf den Arbeitsmarkt strömen und dort zu einem großen Teil keine angemessenen Jobs finden. Zwar ist die Geburtenrate in Kenia mit 3,34 Kindern pro Frau mittlerweile nur noch halb so hoch wie im Niger – was auch Ausdruck der Tatsache ist, dass sich das Land auf einem deutlich höheren Entwicklungsstand befindet, aber jetzt kommen natürlich die Jugendlichen in den Arbeitsmarkt, die vor 20 Jahren mit noch wesentlich höheren Fertilitätsraten geboren wurden. Und obwohl Kenia im afrikanischen Vergleich ein recht ordentliches Wirtschaftswachstum und die lebhafteste Start Up Szene des gesamten Kontinents hat, reicht das bei weitem nicht aus, genügend qualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen.
Nun ist Kenia im Gegensatz zu den Militärdiktaturen im Sahel eine recht gefestigte Demokratie mit einer unabhängigen Gerichtsbarkeit und einer freien und sehr kritischen Presse. Dennoch sind die sich politisch z.T. bekämpfenden, dann aber wieder in wechselnden Konstellationen miteinander kooperierenden und stark von ethnischen Kalkülen geprägten Eliten (Ruto, Odinga, Kenyatta) so miteinander verbandelt, dass sich weite Teile der politisch interessierten Jugend vom politischen System ausgeschlossen fühlen. Es kommt hinzu, dass alle politischen Führungsfiguren durch ihre oder die politische Tätigkeit ihrer Väter (Kenyatta) steinreich geworden sind, wobei Korruption oft eine Rolle gespielt haben dürfte. Als es nach der umstrittenen Wahl von Kibaki 2007 zu bürgerkriegsähnlichen ethnischen Konflikten mit mehreren hundert Toten und zehntausenden Vertriebenen kam, wurde schnell klar, dass diese Unruhen von einem Teil der Politiker (Ruto, Kenyatta) aus parteipolitische/ethnischen Motiven geschürt worden waren. Beide wurden deshalb vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt. Der Prozess musste dann aber eingestellt werden, weil viele Zeugen entweder verschwunden oder umgekommen waren oder unter Druck ihre Aussagen zurückgezogen haben. Großer Reichtum führender Politiker, das Gefühl, dass sich die Eliten bei allem oft ethnisch motivierten Streit letztlich gegenseitig stützen, die Erfahrung, dass die Lasten wirtschaftlicher Anpassung immer nur von denjenigen getragen werden müssen, die eh wenig haben, befördern pan-afrikanisch die Wut einer gut ausgebildeten jungen Generation, die zudem per Internet die Verhältnisse in anderen Ländern gut kennt. Bemerkenswert und ermutigend für Kenia ist allerdings, dass der Protest der jungen Leute überhaupt keine ethnischen Spaltungen und Grenzen mehr zu kennen scheint. Auch deshalb wird der Jugendprotest von vielen Kenianern aller Generation als großes positives Signal für die Zukunft wahrgenommen.
Wie geht es nun weiter mit Kenia? Die Regierung steht vor einem großen Dilemma. Sie hat in den letzten Jahren massiv z.B. in Infrastruktur investiert. Mit chinesischer Hilfe hat sich die Verkehrssituation in Nairobi, deutlich verbessert, die Eisenbahnlinie von Nairobi nach Mombasa – ein zentrales Infrastrukturprojekt – wurde gebaut, der Tiefseehafen in Lamu in Angriff genommen. Auch wenn diese Projekte z.T. vielleicht etwas überdimensioniert sind, stellen sie doch wichtige Investitionen in die Zukunft des Landes dar. Die Kehrseite ist allerdings eine deutlich gestiegene Verschuldung Kenias insbesondere gegenüber China. Mit ca. 75% des BIP ist der Verschuldungsgrad Kenias im Vergleich zu einigen europäischen Ländern zwar noch nicht sehr hoch. Aber Kenia hat weniger Möglichkeit, sich günstig am internationalen Kapitalmarkt zu refinanzieren und wohl Probleme, die steigenden Zinsen insbesondere auch auf die chinesischen Kredite zu bedienen. Will das Land weiter investieren, muss es seine Schuldenprobleme lösen. Dazu bedarf es eigener Anstrengungen, aber auch einer umfassenden Umschuldung. Dabei sind diesmal in erster Linie die Chinesen gefragt, die mit Abstand die größten Gläubiger Kenias sind. Die chinesischen Kredite sind im Übrigen auch deutlich teurer als die aus der EU. Im Falle Kenias taugt insofern der Westen – anders als im Sahel – nicht mehr als Feindbild. Auch deshalb hat man bei den Demonstrationen in Nairobi keine russischen oder chinesischen Fahnen gesehen.
Es bleibt zu hoffen, dass viele der engagierten Jugendlichen den Weg in die kenianische Politik finden und dort die Strukturen und Parteien aufmischen. Ganz so unwahrscheinlich ist dieses Szenario im demokratisch- liberalen Kenia nicht. Deutschland und der Westen könnten Kenia insbesondere dadurch helfen, dass sie zehntausenden von qualifizierten jungen Kenianern den Weg in den europäischen und deutschen Arbeitsmarkt ebnen. Das wird das Arbeitsmarktproblem in Kenia natürlich nicht alleine lösen, kann aber psychologisch ein wichtiges Signal sein.
Titelbild von Akofa Bruce