Klima- und Nachhaltigkeitsziele haben in der Öffentlichkeit deutlich an Unterstützung verloren. Das Lieferkettengesetz wird in Deutschland und auf EU-Ebene stark verwässert ebenso wie die Nachhaltigkeitsberichtspflichten.
Diesen „Backslash“ spüren auch die Baumwoll-Nachhaltigkeitsstandards BCI, CmiA, Fairtrade und GOTS.1 Bei allen 4 Standards stagnieren seit 2 – 3 Jahren die Absatzzahlen für nachhaltige Baumwolle und insofern auch die Lizenzeinnahmen, bzw. die Einnahmen aus der Volumen basierten Fee (VBF) bei BCI VBF. Das Ganze trifft auf einen kriselnden traditionellen textilen Einzelhandel.
Gibt es einen Weg aus der Stagnation?
Nachhaltig gelabelte Textilien werden für den Einzelhandel nur dann gegenüber der Konkurrenz von Temu, Shine und anderen wieder interessanter, wenn sie wesentlich transparenter und glaubwürdiger als bisher deutlich machen können, dass der Kauf dieser Textilien für die Kleinbauern in Afrika und Asien tatsächlich einen signifikanten Unterschied macht.
Dazu müssen die Standards wesentlich transparenter und ambitionierter werden. Was heißt das konkret?2
Transparenz
Die Jahresberichte müssen eine komplette Finanzzahlen, d.h. eine Gewinn- und Verlustrechnung sowie eine Bilanz ausweisen. Bei der Aid by Trade Foundation, der Eigentümerin von CmiA, ist das nicht der Fall. Die Öffentlichkeit erfährt somit nicht, wieviel Reserven und Kapital AbTF hat. Bei BCI würde man sich eine detaillierte Aufgliederung der Einnahmen und Ausgaben in der GuV wünschen. Es sollte zudem nicht nur berichtet werden, wieviel zertifizierte Baumwolle produziert, sondern auch wieviel davon vom Einzelhandel abgenommen wird. Bei BCI sind es knapp 50 %. AbtF gibt darüber wiederum keine Auskunft. Der Prozentsatz dürfte aber nicht viel höher liegen.
Sowohl AbtF als auch BCI sollten klar offenlegen, wieviel Prozent ihrer Einnahmen aus Lizenzgebühren bei CmiA oder der Volumen basierten Fee (VBF) bei BCI für Kosten zur Sicherstellung der jeweiligen Erfordernisse des Standards (Assurance) und wieviel Prozent für die Unterstützung der Baumwollkleinbauern ausgegeben werden. Bei BCI ist das teilweise rekonstruierbar, bei AbtF nicht.
Im Jahresbericht von Fairtrade Deutschland wird nicht deutlich, ob Fairtrade an die Baumwollbauern einen Preis zahlt, der über dem Weltmarktpreis liegt zahlt. Bis vor kurzem war dies nicht der Fall. Insofern zahlt Faritrade den Bauern keine besseren Preise als Baumwolle als BCI oder CmiA.
Nachhaltigkeitsstandards sollten einen Complaint, Safeguarding und Whisteblowing Mechanismen haben und über Beschwerden berichten. Dies ist bis jetzt nur bei BCI der Fall, bei CmiA, Fairtrade and GOTS soweit erkennbar nicht.
Investitionen in die Verbesserung von Produktivität und Lebensbedingungen von Baumwollfarmern
Alle genannten Labels BCI, CMIA, Fairtrade und GOTS werben damit, dass sie die Lebensbedingungen der Bauern, sie sie zertifiziert haben, verbessern. Mit diesem Claim und sozusagen im Namen der Baumwollbauern erzielen sie Lizenzeinnahmen (Volumen basierterte Fees) vom textilen Einzelhandel, der sie so gelabelten Produkte verkauft.
Was kommt von diesen Einnahmen bei den Kleinbauern in Asien und Lateinamerika an?
BCI unterhält einen Growth und Innovation Fund (GIF), der in die Verbesserung der Produktivität und Lebensbedingungen von Baumwollkleinbauern investiert. Dieser Fonds speist sich aus Teilen der Volumen basierten Fee (VBF) und Zuschüssen von Gebern. In 2024/25 hat der GIF Einnahmen von 30 Mio Euro realisiert, davon 17,5 Mio Euro aus der VBF von BCI. Von diesen Einnahmen konnten im Berichtszeitraum 11,5 Mio Euro nicht ausgegeben werden.
Die AbTF (CmiA) hat in 2024 528.000 Euro für Sozialprojekte in den Baumwollanbaugebieten ausgegeben: Bau von Schulen, Brunnen, Förderung von Frauenkooperativen etc. Wieviel Prozent aus den Programmimplementierungskosten der AbTF für die Förderung der Produktivität von Kleinbauern ausgegeben wurde, ist aus dem Bericht nicht ersichtlich (s.o.). AbtF hat in 2024 einen Gewinn von 3,2 Mio. Euro erzielt, der ebenso wie der Gewinn im Vorjahr in Höhe von 2,4 Mio Euro in die Kapitalreserven eingestellt wurde.
Fairtrade hat in 2024 840.000 Prämien für Projekte mit Baumwollbauernkooperativen ausgezahlt. GOTS aber auch andere Biostandards investieren – soweit bekannt – kein Geld in die Verbesserung der Lebensbedingungen und Produktivität von Kleinbauern. Die Biobauern, die Baumwolle anbauen, bekommen einen Preis gezahlt, der über dem Weltmarktpreis liegt. Ob dieser Preis die i.d.R. geringere Produktivität der Biobauern überkompensiert und diese ein höheres Nettoeinkommen als konventionelle Baumwollbauern erzielen, ist bisher weitgehend nicht erforscht. Und z.B. GOTS macht auch keine Anstrengungen, dies zu erforschen.
Es stellt sich nun die Frage: Warum schütten BCI und ABTF einen Großteil ihrer „Gewinne“ nicht an die von ihnen zertifizierten Kleinbauern aus? Bei BCI mag das daran liegen, dass sich der GIF noch im Aufbau befindet. Bei AbTF ist dies völlig unverständlich, liegen der Stiftung doch genügend Projektansätze ihrer Partner in Afrika zur Förderung von Kleinbauern vor, die dringend auf Zuschüsse warten. Immerhin hat AbTF jetzt einen Fonds von 500.000 Euro zur Förderung von Biodiversität in den Baumwollanbaugebieten aufgelegt. Dies ist vor dem Hintergrund der genannten Gewinne aber immer noch sehr bescheiden.
Living Income für Kleinbauern
Eine kürzlich in Kamerun durchgeführte repräsentative Studie zeigt, dass die dortigen alle nach CmiA zertifizierten Baumwollbauern im Schnitt nur 50% dessen verdienen, was sie verdienen müssten, um ein anständiges (decent) Leben zu führen. Eine vergleichbare von BCI in den indischen Bundesstaaten Maharashtra und Tengalana durchgeführte Studie mit Baumwollkleinbauern kommt zu ähnlichen Ergebnissen.
Nun könnte man von nachhaltigen Baumwollstandards, die den Konsumenten versprechen, dass sie dazu beitragen, die Lebensverhältnisse der Kleinbauern verbessern, erwarten, dass sie eine Strategie entwickeln, wie sie den „living income gap“ – also den Unterschied zwischen dem realen und dem „decent“ income schrittweise verbessern. BCI adressiert das Problem immerhin und verspricht, sich um das Erreichen eines livigin income zu kümmern, allerdings ohne konkrete Schritte und Ziel anzugeben. Bei der AbtF (CmiA), Fairtrade und GOTS wird das Problem des „living income gap“ überhaupt nicht angesprochen.
Dabei würden die Standards erheblich an Glaubwürdigkeit und damit auch an Vermarktungschancen gewinnen, wenn sie zumindest konkrete, messbare Teilschritte und -ziel formulieren würden, wie sie einem living income näherkommen wollen. Wenn sie dann noch transparent über die Umsetzung dieser Ziele jährlich berichten würden, könnte sehr viel Vertrauen bei Konsumenten und textilen Einzelhändlern aufgebaut werden. In einem schwieriger werdenden Umfeld der Nachhaltigkeitsdiskussion reicht es einfach nicht mehr aus, in den Baumwollanbaugebieten einige wenige Sozial- und Projekte zur Bodenqualität durchzuführen und ansonsten auf die durch die Standards induzierten Trainings zu verweisen.
Die Verringerung des Einsatzes synthetischer Pestizide im Baumwollanbau
Auf der UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal 2022 ist beschlossen worden, den Einsatz synthetischer Pestizide bis 2030 um 50 % zu verringern. Im Baumwollanbau werden demgegenüber immer noch und auch unter den zertifizierten Standards BCI, CmiA und Fairtrade (nur ca. 40 % von Fairtrade sind biozertifiziert) auch Highly Hazardous Pesticides gemäß der Klassifizierung vom Pesticide Action Network eingesetzt. Diese Insektizide sind schädlich für die menschliche Gesundheit und für Fauna und Flora.
Nun setzt sich BCI in ihrem Mission Statement dafür ein, den Einsatz systhetischer Pestizide bis 2030 um 50 % zu verringern, und die der Highly Hazardous Pesticides auf 0 zurückzuführen. Der Einsatz soll gemäß dem letzten BCI Jahresbericht bereits um 81 % gesenkt worden sein.
In den Jahresberichten der AbtF und von, Fairtrade (die allerdings nur kurz auf Baumwolle eingehen), fehlen Zielsetzungen zur Rückführung des Einsatzes von Pestiziden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ca. 40 % der Fairtrade Baumwolle gleichzeitig zertifizierte Bio-Baumwolle ist.
Der Einsatz von Methoden der biologischen Schädlingsbekämpfung im konventionellen Baumwollanbau findet in den Jahresberichten von BCI, AbtF und Fairtrade keine oder nur wenig Beachtung. Das Ganze ist umso unverständlicher, als sowohl Partner von BCI wie auf von CmiA in Afrika und Asien in größeren Umfang den Einsatz von Methoden der biologischen Schädlingsbekämpfung und dabei auch den Einsatz von Biopestiziden testen. Diese werden auf Basis einheimischer Unkräuter erstellt, sind biologisch abbaubar und i.d.R. für die menschliche Gesundheit nicht schädlich. Die bisherigen Testergebnisse sind durchweg vielversprechend. Man würde sich deshalb von BCI, CmiA aber auch Fairtrade wünschen, dass sie massiv in die Erforschung und Anwendung von Methoden des biologischen Schädlingsabbaus investieren. Alle Beteiligten wissen, dass die klassische IPM Strategie zu Reduzierung des Einsatzes synthetischer Pestizide u.a. durch Spritzen auf Basis von Schadschwellen das Problem des Einsatzes von synthetischen Pestiziden nicht löst. Letztlich muss das Problem an der Wurzel angepackt werden, das heißt, das synthetische Pestizide müssen durch Biopestizide und weitere begleitende Maßnahmen ersetzt werden müssen.
Fazit:
In letzten 20 Jahren haben BCI und CmiA es geschafft, den Markt für nachhaltige Baumwolle massiv zu entwickeln. 20% der weltweit gehandelten Baumwolle ist BCI zertifiziert. 40 % der in Afrika angebauten Baumwolle ist CmiA zertifiziert. Dabei haben beide Standards ein weltweites Netzwerk an Partnerunternehmen aufgebaut, mit dem es auch immer besser gelingt, weitgehende Transparenz und Nachverfolgbarkeit in den Lieferketten herzustellen. Und sie haben eine Struktur aufgebaut, mit der sie zusammen mit ihren Partnern in Asien und Afrika wesentlich Zielgruppen genauer und preiswerter (deutlich geringere Transaktionskosten) als die traditionelle Entwicklungszusammenarbeit Vorhaben zur Verbesserung der Produktivität und der Lebensbedingungen für Kleinbauern auf den Weg bringen können.
Es ist an der Zeit, dass BCI, CmiA, aber auch Fairtrade und GOTS diese Instrumente deutlich beherzter nutzen. Nur so können sie ihre Einzelhandelspartner und die Kunden davon überzeugen, dass Baumwollprodukte mit den genannten Siegeln für die Kleinbauern wirklich den Unterschied machen.
Fußnoten:
- GOTS ist der am weitestes etablierte Standard für Biobaumwolle. ↩︎
- Die folgenden Angaben basieren auf der Auswertung der Jahresberichte 24/25 der Better Cotton Initiative (BCI), des Jahresberichtes 24/24 des Growth and Innovation Funds (GIF) von BCI, des Jahresberichtes 24 der Aid by Trade Stiftung (AbtF), die Eigentümer der Marke Cotton made in Africa (CmiA) ist, sowie des Jahresberichtes 24 von Fairtrade Deutschland. ↩︎
Titelbild: Foto von Alfred Leung auf Unsplash
