Für 2025 wurde der Haushalt des BMZ um eine Milliarde Euro gekürzt. Es bedarf keiner seherischen Fähigkeiten, um für die nächsten Jahre stagnierende oder weiter sinkende Mittelansätze zu prognostizieren. Weniger Mittel sollten aber nicht mit einem verminderten, sondern einem veränderten Ambitionsniveau einhergehen. Über das Handlungsfeld Agrar- und Umweltpolitik in der Entwicklungszusammenarbeit mit Brasilien sollte neu nachgedacht werden.
Agrar- und umweltpolitische Kooperation mit Brasilien nach der Rio-Konferenz 1992
Als die G7-Staaten 1992 das Tropenwaldprogramm PPG7 starteten, war der deutsche Einfluss groß. Der Großteil der Mittel dafür kam von Anfang an vom BMZ. Brasilianische NGOs übernahmen eine bedeutende Rolle in der Diskussion, Auswahl und Umsetzung von Ansätzen und Projekten. Aus den Mitteln des PPG7 und der vielen anderen ergänzenden und Nachfolge-Projekten wurden seitdem sicher viele gute Initiativen unterstützt. Dazu gehören auch Millionen Hektar demarkiertes Land für indigene Gemeinden und Schutzgebiete. Auch der indirekte Beitrag für die umweltpolitische Meinungsbildung in Brasilien selbst war bedeutsam.
Die brasilianischen NGOs, die Anfang der 1990er Jahre als Meinungsführer die öffentliche umweltpolitische Debatte bestritten, stammten überwiegend aus dem Kampf gegen die gerade überwundene Militärdiktatur in Brasilien. Die deutsche offizielle Entwicklungszusammenarbeit (EZ), aber auch die deutschen NGOs und Hilfswerke stützten sich damals auf einen starken gefühlten Konsens zwischen Deutschland und Brasilien. Nach der Umweltkonferenz in Rio 1992 hat sich die deutsche EZ oft als Impulsverstärker verstanden: NGOs wurden gefördert, diese erarbeiteten neue Praktiken zum Schutz der natürlichen Ressourcen und zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft. Diese sollten dann durch Beratung oder Kreditförderung in die nationalen oder bundesstaatlichen Fördermaßnahmen in die Breite getragen werden. Im Fundo Amazônia wurden Erfahrungen zur Förderung kleinteiliger Vorhaben aufgearbeitet und in ein Fördermodell eingebettet, das mit viel ausländischem und zunehmend brasilianischen Geld half, die Artenvielfalt zu erhalten und benachteiligte Bewohner ländlicher Regionen in ihren wirtschaftlichen Aktivitäten unterstützten. Die deutsche EZ hat in der Entwicklung und Umsetzung dieser Ansätze und beim Aufsetzen des Fundo Amazônia von Anfang an eine wichtige Rolle gespielt. Nach der großen Umweltkonferenz in Rio 1992 und insbesondere, als 2003 Lula seine erste Regierung antrat, und als die Umweltministerin Marina da Silva für Brasilien auf den internationalen Umweltkonferenzen auftrat, befand man sich lange in Aufbruchstimmung. Die ist nun vorbei.
Die brasilianische Gesellschaft ist eine andere. Inmitten einer extremen gesamtpolitischen Polarisierung beschreiten NGOs neue Wege. Brasilien ist heute ein selbstbewusst agierender globaler Player und nicht nur willens, sondern auch in der Lage, selbst Milliarden von Euro privater und öffentlicher Mittel in eine nachhaltige Entwicklung des Amazonas und anderer Regionen zu kanalisieren. Die Frage ist allerdings, welche Art von nachhaltiger Entwicklung angestrebt wird.
Spätestens seit 2015 hat sich die zivilgesellschaftliche Meinungsbildung zu Umweltpolitik und Amazonas verändert. Die vor 30 Jahren aktiven NGOs sind zwar immer noch präsent, manche setzen aber immer noch auf eine Frontalopposition gegen den Agrarsektor, den Agrarhandel und das Abkommen der EU mit dem MERCOSUR. Währenddessen hat sich die brasilianische Agrar- und Ernährungswirtschaft jedoch praktisch und konzeptionell ausdifferenziert und sich sowohl technisch als auch umweltpolitisch modernisiert. Für den aktiven Dialog zwischen der Agrar- und Ernährungswirtschaft und der brasilianischen Gesellschaft gibt es inzwischen neue Formate und Gruppierungen: Fachlich kompetent und politisch repräsentativ ist besonders die 2015 gegründete „Coalizão Brasil“, eine auch im internationalen Vergleich bemerkenswerte Allianz von inzwischen über 400 Umwelt-NGOs, Unternehmen, Wissenschaftsinstituten, Agrarverbänden und Banken. Insbesondere renommierte Umwelt-NGOs wie IMAFLORA, IPAM, IMAZON scherten aus der alten polarisierten Positionierung zwischen DEM Agrarsektor und DEN Umwelt-NGOs heraus und suchten den Dialog mit jenem Teil des Agrar- und Ernährungssektors, der ebenfalls bereit war, Maximalpositionen zugunsten eines realpolitischen Dialogs aufzugeben. Die Coalizão Brasil hat sich zum Ziel gesetzt, den gesellschaftspolitischen Diskurs und die umweltpolitische Praxis direkt zu beeinflussen. Daraus ist tatsächlich eine Allianz für modernen Wald- und Umweltschutz, eine nachhaltige Landwirtschaft sowie die Bekämpfung der illegalen Entwaldung entstanden. Sie steht damit gegen jenen Teil des traditionellen und oft reaktionären Agrarsektors, der zur Basis des Bolsonarismo gehört. Mit konzeptioneller Energie sowie politischer Kreativität beeinflusst die Coalizão Brasil heute alle relevanten Agrar- und Umweltthemen – auf die Fundamentalopposition der alten Garde wird verzichtet. Die Coalizão Brasil ist heute das einflussreichste Akteursspektrum in Zivilgesellschaft und Privatsektor. Hier werden strategische Konzepte zu Agrar- und Umweltpolitik entwickelt, oft auch kontrovers debattiert, und hier werden Kompromisslinien auf nationaler Ebene vorbereitet. Dies gelingt mit fachlicher Kompetenz, aber auch mithilfe intelligenter Formen der internen politischen Aushandlung, die nicht nur Konsens und Abstimmung kennen, sondern auch zwischen Nicht-Zustimmung und dem Einlegen eines Vetos unterscheiden. Mitgliedsorganisationen der Coalizão Brasil meiden das harte Veto: ein neuer Stil ist eingekehrt, und eine andere Generation hat übernommen – und das zu einem Zeitpunkt, als die gesellschaftspolitische Polarisierung immer heftiger wurde und die demokratischen Institutionen beschädigte.¹
Neue Wege für die umweltpolitischen EZ in Brasilien
In den Jahren der Regierung Bolsonaro konnte die deutsche EZ keine großen Schritte machen; es war eine große fachliche und politische Leistung von KfW und GIZ im Auftrag des BMZ im Land aktiv zu bleiben, alternative Wege zu finden, z.B. mit den Bundesstaaten enger zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit mit dem Umweltministerium wurde gänzlich unmöglich durch einen Minister, der öffentlichkeitswirksam den kriminellen Handel mit Tropenholz aus illegaler Entwaldung unterstützte. Die Kooperation mit dem überraschend pragmatischen und fachlich kompetenten Agrarministerium erwies sich hingegen auch schon während der Regierung Bolsonaros als produktiv. Wie kann sich die deutsche EZ mit einem neuen Brasilien aufstellen, das sich in den BRICS engagiert und geopolitisch selbstbewusst und pragmatisch in einer zunehmend multipolaren Welt auftritt, gleichzeitig aber auch eine Distanz zu China aufrechterhält, einem Brasilien, das sich allen Seiten gegenüber Offenheit bewahrt und sich intensiv für den Abschluss des Handelsabkommens mit der EU eintritt? Wo sieht eine ebenfalls selbstbewusste deutsche EZ mit diesem „neuen“ Brasilien fachliche und politische Prioritäten? Eines ist klar: Der Erhalt globaler Güter wie Artenvielfalt und insbesondere die Minderung der Treibhausgase muss Priorität bleiben. Wirkungs-Monitoring und rigorose Evaluierung in Zusammenarbeit mit der Wissenschaft müssen dabei eine stärkere Rolle spielen. Wo die Mittel knapper werden, dürfen sie nicht fragmentiert und kleinteilig, sondern müssen – in Abstimmung mit dem Partner Brasilien – fokussierter und strategischer eingesetzt werden. Es muss stärker nachgehalten werden, welche Wirkungen der deutsche Beitrag erzielen kann. Ein laufendes brasilianisches Agrar- oder Umweltprogramm sollte dann eher aus brasilianischen Steuermitteln finanziert werden.
Für den Agrar- und Umweltbereich werden fünf Aspekte hervorgehoben.
- Nachhaltigkeit in der tropischen Agrarwirtschaft: Der brasilianische Agrar- und Ernährungssektor war lange Zeit ein Feindbild, auch bei manchen deutschen NGOs. Die Expansion der Landwirtschaft wurde verantwortlich gemacht für Entwaldung des Tropenwaldes und die Zerstörung indigener Lebensräume. Doch hat sich der Agrarsektor gewandelt; die Spreu trennt sich vom Weizen, der alte „Agrar-Extraktivismus“ gehört zunehmend der Vergangenheit an. Neue Ackerflächen stammen heute immer weniger aus der Zerstörung nativer Vegetation. Stattdessen weichen die Farmer aus auf die gigantischen Flächenreserven, die schon vor längerer Zeit entwaldet worden waren, insbesondere auf degradierte Weideflächen. Bestehende Flächen besonders im Cerrado werden intensiver genutzt, und damit sinkt der landwirtschaftlich motivierte Entwaldungsdruck; pro 10 Hektar stehen nicht mehr nur fünf Rinder, sondern 10. Oder 20 oder mehr. Und der Sojaertrag pro Hektar ist in 20 Jahren von 2.500 auf 3.500 kg gestiegen. Es ist diese Intensivierung, die dazu beiträgt, die verbleibende native Vegetation zu schützen. Aus sozialer Sicht ist die enorme Konzentration des landwirtschaftlichen Grundbesitzes weiterhin hochproblematisch. Es hat in den letzten 70 Jahren aber nur wenige historische Fenster gegeben, um eine umfassende Agrarreform durchzuführen. Gesellschaftliche und politische Mehrheiten hat es dafür allerdings zu keinem Zeitpunkt gegeben. Daran dürfte sich auch in absehbarer Zukunft kaum etwas ändern. In jedem Fall ist dies eine politisch sensible inner-brasilianische Angelegenheit. Unabhängig davon wäre es aus klima- und umweltpolitischer – und damit aus globaler – Sicht positiv zu bewerten, wenn degradierte Weideflächen in großem Ausmaß restauriert werden, wenn die Landwirtschaft zunehmend bodenschützende Praktiken einsetzt und durch intensivere Nutzung mehr Kohlenstoff fixiert wird, wenn moderne Bio-Inputs eingesetzt werden, die den Einsatz von Pestiziden mindern können, wenn der Luftstickstoff über Boden- Bakterien gebunden und damit der wichtigste Pflanzen-Nährstoff energiesparend und auf natürlichem Wege bereitgestellt wird, und wenn auf den bestehenden Acker- und Weideflächen Tierhaltung, Forstwirtschaft und Pflanzenproduktion integriert wird. All diese Maßnahmen betreffen potenziell viele Millionen Hektar. Aus bodenökologischen und klimapolitischen Gründen sowie um den Entwaldungsdruck zu mindern, ist in der tropischen und sub-tropischen Landwirtschaft eine solche intensivere Bodennutzung nötig, als dies in Westeuropa bisher anerkannt wurde. Konzept und praktisches Leitbild ist hier die „Nachhaltige Intensivierung“.
- Entwaldungsdynamik und ihre Bekämpfung: Die Entwaldung trägt in Brasilien immer noch am meisten bei zur Emission von Klimagasen bei. Es ist jedoch nötig, bei den Motiven der Entwaldung besser zu differenzieren als bisher. Im Amazonas ist illegale Entwaldung eng mit dem organisierten Verbrechen verknüpft. Entwaldung erfolgt hier überwiegend auf öffentlichem Land und dient dem Landraub sowie anderer illegaler Tätigkeiten und nicht in erster Linie der Landwirtschaft. Hier ist die brasilianische Polizei und Justiz gefragt. Wo aber nach brasilianischem Recht im Amazonas und noch stärker im Cerrado legal abgeholzt werden darf, bedarf es positiver ökonomischer Anreize, um die Entwaldung zu stoppen. Deswegen ist das Mitte 2025 komplettierte Gesetzespaket zur Zahlung für Umweltleistungen ein idealer konzeptioneller politischer Rahmen für die deutsche EZ. Sie könnte helfen, dieses Instrument als Anreiz für den Erhalt nativer Vegetation in der Breite zu etablieren.
- Die Armut des Amazonas ist urban: Knapp 80% der Bevölkerung des Amazonas ist Stadtbevölkerung, und auch die Armut ist überwiegend urban. Kleinteilige Ansätze der Förderung ländlicher Entwicklung und Schutzmaßnahmen bleiben zwar weiterhin nötig. Größere Wirkungen zum Schutz der Wälder versprechen allerdings Investitionen in wirtschaftliche und soziale Infrastruktur in den Städten, weil sie neben den Sozialen Cash Transfers der Bolsa-Família am ehesten in der Lage sind, die urbane Armut zu bekämpfen und damit das Lohnniveau in der Breite zu heben. Ländliche und städtische Einkommen sind wie kommunizierende Röhren. Und es ist die absolute Armut, die es der organisierten Kriminalität erleichtert, billige Arbeitskräfte für die illegale Abholzung zu rekrutieren. Kleinteilige Maßnahmen der ländlichen Entwicklung inclusive der nachhaltigen Nutzung von Nicht-Holzprodukten wie Paranüsse, Kautschuk oder Açaí oder andere Formen einer traditionellen Wirtschaftsweise werden (allein) nicht in der Lage sein, massive öffentliche wie private Investitionen zu mobilisieren. Die aber sind nötig, um eine dynamischere Wirtschaftsentwicklung in der Region zu stimulieren, die bessere Technologien einsetzt und so mehr Wertschöpfung und höhere Einkommen in der Breite ermöglicht. Genau das sollte in erster Linie in den Städten geschehen, nicht zuletzt, um so der illegalen Entwaldungsökonomie auch von dieser Seite den Boden zu entziehen. Ist hier eine Chance für die deutsche technische und finanzielle Zusammenarbeit? Straßen, Häfen, Wasser- und Abwasserbau, Bildung und Ausbildung, Ausbau intelligenter Stromnetze?
- Partnerumfeld und Strategiebildung: Die deutsche EZ ist nicht ein umweltpolitisches Korrektiv der brasilianischen Regierung oder unterstützt nicht eine bestimmte politische Fraktion, sondern kooperiert mit der umweltpolitischen Führung der Regierung – wenn und solange eine solche Kooperation möglich und aus deutscher Sicht wünschenswert ist. Für fachpolitische und strategische Überlegungen, zukunftsfähige Praktiken und Agrar- und Umweltpolitik ist der Dialog mit der Coalizão Brasil eine maßgebende zivilgesellschaftliche Referenz. Das strategische Ziel muss sein, den umweltpolitisch fortschrittlichen Teil des Agrarsektors in seinem Bündnis mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft als zentralen Gesprächspartner zu etablieren und gegenüber der reaktionären, anti-demokratischen Fraktion zu stärken.
- Beitrag der Deutschen EZ im globalen Kontext: Im Dezember 2024 wurde das Handelsabkommen der EU mit dem MERCOSUR unterzeichnet. Der gegenwärtige geopolitische Umbruch drängt dazu, es nun rasch zu ratifizieren. Das neu ausgehandelte Nachhaltigkeitskapitel betont das Pariser Klimaabkommen als essentiell und verpflichtet zu Null Entwaldung ab 2030. Als Ausgleich für einseitige Handelsbeschränkungen, die nach 2019 eingeführt wurden, sind nun Vergünstigungen für Handel und in der technischen Zusammenarbeit vorgesehen, wenn bestimmte (auch landwirtschaftliche) Produkte besonders relevant sind für Nachhaltigkeit und für das Klima. Brasilien hat vor langer Zeit seinen ganz eigenen Pfad der Agrarentwicklung eingeschlagen und steht mit seiner tropischen Landwirtschaft vor anderen klimatischen Herausforderungen der Nachhaltigkeit als das westliche Europa. Dies ist zu respektieren. Brasilien ist ein bedeutender und unabhängiger Akteur in der sich multipolar ausrichtenden Welt. In diesem Sinn sollte sich die deutsche EZ proaktiv, weitsichtig und verantwortlich in die Umsetzung des Nachhaltigkeitskapitels des Handelsabkommens mit dem MERCOSUR einbringen.
¹ Die gewählte Präsidentin Dilma Roussef wurde 2016 abgesetzt, Lula mit einer fadenscheinigen Urteilsbegründung für 580 Tage in Haft genommen. Seine Kandidatur zur Präsidentschaftswahl 2018 wurde damit unterbunden, Bolsonaro gewann die Wahl.
Titelbild: Foto von Wenderson Araujo; Sistema CNA/Senar
